Nein, das Jahr lief ganz und gar nicht wie geplant, aber einige Dinge, die sind in Kalabrien eben doch so wie immer. Oder fast. Und das ist nicht langweilig, sondern es ist gut so. Dieser Jahresrückblick 2022 wird nicht so sein, wie die üblichen Auflistungen von Business-Erfolgen, sondern wird unser Jahr in Kalabrien erzählen, mit vielen immer wiederkehrenden Ereignissen und auch ein paar Ausreißern von der Routine.
Was haben wir uns für 2022 vorgenommen und wie ist es gelaufen?
Wir hatten kein Motto, aber es hätte heißen sollen: Wir haben keinen Plan, aber das Wetter ist fantastisch! Und genau so sind wir ohne Plan in das neue Jahr gestartet. Besonders die Corona-Phase hat und gelehrt, dass wir am besten KEINE Pläne schmieden, denn es kommt meistens eh anders. Die Hoffnung, dass nun ausgerechnet 2022 anders laufen könnte, hatten wir nicht. Und wir hatten recht. Wir verließen uns auf das italienische Talent zu improvisieren und zu versuchen, immer das Beste aus den Situationen zu machen.
Mein Jahresrückblick 2022
Aller Anfang ist schwer
Die ersten Tage des Jahres sind noch von den Weihnachtsfeierlichkeiten bestimmt: Am 6. Januar wird hier traditionell Epifania gefeiert. Die Befana (so nennt man die alte Frau, eine Art gute Hexe) bringt den Kindern Geschenke und man sagt „sie bringt die Festtage weg“. Erst nach diesem Tag werden die Weihnachtsdekorationen abgenommen. Die Kinder freuen sich, noch einmal beschenkt zu werden, bevor auch der Schulalltag wieder anläuft. Jetzt sind die Festtage endgültig vorbei.
Nun beginnt die wirklich kalte Jahreszeit. Die kältesten Tage des Jahres sind meistens im Januar. Schnee fällt im Flachland jedoch nur selten, denn die Temperaturen sinken kaum auf Minusgrade. Aber wer Lust auf Schnee hat und vielleicht sogar Skifahren mag, kommt auch in Kalabrien auf seine Kosten. In den Bergen befinden sich verschiedene Skigebiete. Es gibt sogar eine Skipiste, von der man den Ausblick auf das Meer genießen kann!
Von den Hochlagen abgesehen, ist die Natur in Kalabrien das ganze Jahr überwiegend grün. Die Landschaft im Flachland ist vielerorts von ganzjährig grünen Bäumen wie Olivenbäumen und Zitruspflanzen bedeckt.
In den ersten Monaten des Jahres werden die letzten Oliven geerntet und zur Ölmühle gebracht.
Jetzt beginnt die Ernte der Zitrusfrüchte: Orangen, Mandarinen und Zitronen haben die Bäume in den letzten Wochen wie bunte Kugeln farbig dekoriert. Jetzt ist es Zeit für die Ernte.
Mit etwas Glück klettert das Thermometer im Februar hin und wieder schon mal auf 20°. Da steigt die Vorfreude auf den richtigen Frühling, aber ein wenig Geduld ist noch nötig.
Am 3. Februar feiert der Nachbarort seinen Schutzheiligen San Biagio.
San Biagio wird nachgesagt, ein Kind vor dem Ersticken durch eine Fischgräte bewahrt zu haben. Gläubige wenden sich an den Heiligen und bitten um Genesung bei aller Art von Halskrankheiten, Diphtherie oder Angina Pectoris.
An diesem Tag ist es Tradition, dreimal um die kleine Kirche herum zu pilgern, bevor man diese betritt. Gläubig oder abergläubisch, wir machen es jedes Mal. Man trifft den einen oder anderen entfernten Verwandten oder Bekannten, den man schon ewig nicht mehr gesehen hat und wechselt ein paar Worte, denn die Feier zieht viele Menschen aus der gesamten Umgebung an.
Vor dem Heimweg Zuckerwatte oder Eis? Beides!
Am ersten Sonntag im Juni wird das Fest wiederholt. Und natürlich drehen wir wieder unsere drei Runden!
Frühlingserwachen
Zu Ostern bekommen die Kinder endlich ein paar Tage Ferien. Die katholischen Feierlichkeiten zu Ostern sind besonders beeindruckend. Er beginnt mit Palmsonntag und führt durch die ganze Osterwoche. Nach Karfreitag findet dann am Ostersonntag ein ausgiebiges Mittagessen im Kreise der Familie statt. Die Tradition des Ostereiersuchens kennt man hier allerdings nicht. Unsere Kids mussten bisher jedoch immer auf die Suche gehen. Ab diesem Jahr werde ich unsere Jüngste kaum noch dazu bewegen können. Mit fast dreizehn findet sie es langsam uncool, im Garten nach Schokoeiern zu suchen. Mir tut das nicht so sehr leid: Das Verstecken der Süßigkeiten war nicht mehr einfach in den letzten Jahren und wurde von den Hunden, die auch gerne naschen, es aber nicht dürfen, sehr erschwert.
Spätestens am Ostermontag treibt es den Kalabresen dann endgültig hinaus in die Natur! Am Ostermontag, Pasquetta, ist es Tradition, ein Picknick in der Natur zu veranstalten. Am Ostermontag versammeln sich Freunde und/oder Familien und gemeinsam grillt man in der freien Natur, meist jedoch in einem Garten. Jedenfalls, wenn das Wetter es zulässt.
Nach Ostermontag noch ein Tag Erholung und dann geht es wieder in die Schule. Next Stop: Sommerferien!
Der Blog erblickt das Licht der Welt!
Absolut stolz auf mich selbst drücke ich am 29. Mai 2022 endlich das erste Mal den Veröffentlichen-Button. Ein paar Tage zuvor habe ich unsere Website aus dem Coming-Soon-Modus geweckt, um gemeinsam mit den anderen Teilnehmern des Boom-Boom-Blogs von Jutith Peters, alias „Sympatexter“, den Beitrag „Wie ich wurde, was ich bin“ veröffentlichen zu können. Endlich habe ich den Mut gehabt, die von mir selbst gestaltete Website online zu schalten. Im dritten Anlauf, nachdem ich an Rapid-Block-Flow und Jahresrückblog 2021 teilgenommen habe, ohne einen Beitrag zu liefern, erblickte ein Beitrag von mir das Licht der Welt. Ganz nach Judiths Motto „Blog like nobody’s reading“. Und wenn du das hier liest, bedeutet es, dass ich tatsächlich den Jahresrückblick 2022, also einen weiteren Artikel dank Judith geschrieben habe! Wow!
Es gibt noch viel zu tun. Noch kämpfe ich mit den Mindfucks, aber ich danke dir, Judith, für die große Hilfe, die du uns allen gibst, die Ermutigung und vor allem für die unendliche Geduld, die du hast!
Schulferien und somit offiziell SOMMER!
Endlich Sommer – Endlich Sommerferien! Ich kann nicht sagen, ob meine Tochter oder ich den Beginn der Sommerferien mehr erwartete. Tatsache ist, dass wir es beide kaum erwarten konnten, dem „sich morgens aus dem Bett kämpfen und zur Schule trotten“ zu entkommen.
Um den 10. Juni herum beginnen in Kalabrien, je nach Schulkalender, die Sommerferien. Für die Schüler eine lange Zeit seit Anfang Januar ohne Ferien bis auf ein paar freie Tage zu Ostern und vielleicht ein verlängertes Wochenende dank eines Feiertages. Das bei einer 6-Tage-Woche. Jetzt haben sich die Kids fast 3 (!) Monate Ferien wohl verdient. Und ich auch!
Im September geht es dann für unsere Jüngste das letzte Jahr in die Mittelschule. Drei Jahre Kindergarten, fünf Jahre Grundschule und dann noch drei Jahre Mittelschule finden hier im Ort statt. Ab der neunten Klasse geht es dann auf eine weiterführende Schule die sich, je nach Schultyp, in einem der größeren umliegenden Orte befindet und dann mit dem Schulbus erreicht wird.
Lorbeerblätter und Peperoncino: die perfekten Zutaten für einen Bachelor in Italien!
Im Juli ging das gesamte Team von Inside Calabria auf Tour nach Norditalien. Bei der Bachelorfeier von Jalis konnten wir nicht fehlen. Wir fuhren alle nach Triest, es fehlte nur Francesco, der leider beruflich in Hannover festhing.
Wir freuen uns mit Jalis, die endlich ihren Bachelorabschluss erreicht. Das Studium verlief an der Universität Regensburg und endet nach den letzten 2 Semestern an der Universität in Triest mit einem internationalen Bachelor in Deutsch-Italienische-Studien.
In Italien wird Universitätsabsolventen, die den Hochschulgrad bekommen, traditionell nach der Zeugnisverleihung ein Kranz aus Lorbeerblättern und roten Beeren aufgesetzt. Er ist ein Symbol für Weisheit, Ruhm, Ehre, Erfolg, Sieg und mit ihm wurden viele Dichter und Gelehrte der italienischen mittelalterlichen Literatur gekrönt. Der Kranz von Jalis wurde ganz kalabrisch mit Peperoncino-Schoten, anstatt normaler roter Beeren dekoriert.
Abenteuerlich wurde die Rückreise nach Kalabrien: Große Waldbrände haben sowohl Zug- als auch Autoverkehr blockiert und wir saßen in Triest fest. Erst mal war der Schreck groß. Aber Trenitalia, also die italienische Bahn, hat sich bestens um uns gekümmert. Die Zugreise wurde prompt umgebucht. Leider war das mehrmals nötig, aber wer hätte gedacht, dass das Feuer den gesamten Verkehr mehrere Tage lahmlegen würde. Man hat uns Hotelzimmer zur Verfügung gestellt, was bei den vielen Touristen, die in der Hochsaison in Triest festsaßen, fast wie ein Wunder erschien.
Nach zwei Tagen konnten wir mit einer kleinen Fähre über das Meer die Waldbrände umfahren. In Monfalcone ging es mit dem Zug weiter. Ein kurzer Stopp zum Umsteigen in Venedig gab uns die Möglichkeit für einen Spaziergang entlang des Canal Grande. Im Rom mussten wir ein weiteres Mal umsteigen, aber hier fehlte uns die Energie zum Erkunden der Stadt. Nach 24-stündiger Zugreise kommen wir mit viel Verspätung heil wieder in Kalabrien an.
Ein herzliches Dankeschön geht an die nette Frau Ambra vom Bahnhof in Triest, die uns wirklich sehr gut betreut hat!
Ferragosto und jedes Jahr die Frage: Meer oder Berge?
Bis Mitte Juli läuft der Sommer noch recht ruhig. Die Strände und sind noch nicht überlaufen, sondern oft noch fast menschenleer. Wir nutzen diese Zeit, um hin und wieder ans Meer zu fahren, ohne Sorge um die Parkplatzsuche und mit viel freiem Platz für uns am Strand. Die Hochsaison beginnt erst nach der zweiten Julihälfte und meist nicht vor Anfang August.
Jetzt haben die berufstätigen Italiener Urlaub und Kalabrien ist mittlerweile ein beliebtes Urlaubsgebiet für in- und auch für ausländische Touristen. Dazu kommen die Kalabresen, die im Ausland arbeiten und mit ihren Familien für die Ferien in die Heimatorte Kalabriens zurückkehren. Jetzt ist in Kalabrien für ein paar Tage der Bär los, besonders an der Küste. Auch im Binnenland haben sich die kleinen Orte gefüllt. Häuser, die das ganze Jahr unbewohnt sind, füllen sich für ein paar Tage mit Leben. Auch in den kleinsten Ortschaften werden Feste organisiert, mal mit religiösem, mal mit kulturellem oder kulinarischem Hintergrund.
Am 15. August, Ferragosto (dt.: Maria Himmelfahrt), einem der wichtigsten Feiertage in Italien, versammeln sich Gruppen von Freunden oder ganze Familien am Meer oder in den Bergen, um gemeinsam zu picknicken. Daran führt kein Weg vorbei. Niemand bleibt in den eignen vier Wänden. Geschmackssache ist WO man den Tag verbringt. Viele mögen den Strand: abgelegen und naturbelassen oder mit Strandbar, Animation und lauter Musik. Andere suchen sich einen schattigen Platz um Wald. Auch Bauernhöfe mit Bewirtung sind beliebte Ausflugsziele.
Wir haben den Tag im Kreise der Familie auf einem kleinen Landgut verbracht. Zwischen Olivenhainen und Zitronenbäumen wurde Fleisch und frisch geerntetes Gemüse gegrillt und danach Wassermelone und Tiramisu verspeist.
Nachdem wir einen kleinen Verdauungsspaziergang gemacht haben, geht es traditionell zum Baden in den Fluss. Für den Sprung in das eiskalte Wasser braucht man etwas Überwindung, aber danach kann man im Thermalwasser relaxen.
Nach diesem Feiertag, dem Höhepunkt des Sommers, beginnt sich Kalabrien langsam wieder zu leeren. Koffer werden gepackt, Familien trennen sich wieder: Ein Teil bleibt hier, ein Teil fährt zurück nach Norditalien, ein anderer Teil tritt die Rückreise ins Ausland an. Meist Deutschland oder die Schweiz, wo man als Gastarbeiter eine zweite Heimat gefunden hat. Die Orte leeren sich langsam wieder und Ruhe kehrt ein. Spätestens ab September hat auch der Massentourismus die Küsten Kalabriens verlassen und wer kann, genießt das noch schöne Wetter und die jetzt angenehmeren Temperaturen, um Kalabrien zu erkunden und zu genießen. Auch wir nutzen unsere letzten Ferientage, um ans Meer zu fahren, nachdem wir die Küste im Monat August weitgehend gemieden haben.
Herbst: Pilze und Baden im Meer
Bereits im August konnten wir die ersten Pilze sammeln. Dank der warmen Tage und gelegentlichen Schauern sich die Pilze schon sehr früh aus der Erde geschossen. Und das ging so den ganzen Herbst weiter.
Der Spätsommer hat uns dieses Jahr mit tollen Temperaturen verwöhnt. Wir konnten abwechseln und einen Tag in die Berge zum Pilze sammeln und den Tag darauf ans Meer, um zu Baden fahren.
Tatsächlich haben wir Ausflüge zu Stränden gemacht, die ich trotz der vielen Jahre die ich hier lebe, zum ersten Mal betreten habe. Wir besuchten einmalig schöne Buchten, die menschenleer waren. Schade nur, dass die Tage immer kürzer wurden und somit die Abende immer früher anbrachen. Zum Glück bin ich ein großer Fan von Sonnenuntergängen und kam so voll auf meine Kosten.
Mein erstes Mal: Olivenernte
Das Olivenöl ist das Gold Kalabriens. Überall stehen Olivenhaine mit teilweise hundertjährigen Olivenbäumen. Für einen Kalabresen ist es fast undenkbar, eine Flasche Olivenöl im Supermarkt zu kaufen. Viele Familien haben eigene Olivenbäume und ernten die Oliven, um sie dann zur Ölmühle zu bringen. Man ist stolz auf sein eigenes Öl und schenkt Verwandten oder guten Freunden eine Flasche aus eigener Produktion.
Ich selbst habe nie an der Olivenernte teilgenommen, auch weil wir keine eigenen Olivenbäume hatten. In diesem Jahr haben wir erstmals die Oliven unserer kleinen Bäumchen geerntet. Erst wird der Boden um die Olivenbäume mit Netzen bedeckt, um die herunterfallenden Oliven besser aufsammeln zu können. Die Netze bleiben eine ganze Zeit unter den Bäumen und warten geduldig auf die herabfallenden, reifen Oliven. Letztendlich wird nachgeholfen: von Hand oder mit harkenartigen Geräten werden die Oliven, die sich noch auf den Bäumen befinden, „herausgekämmt“ und fallen auf die Netze.
Das ist recht mühsam, aber ich mag es bei meiner Körpergröße von 180 Zentimetern lieber in der Höhe zu ernten als auf dem Boden. Das Herumklettern auf den Bäumen machte mir schon immer Spaß. Dank der Netze ist das Aufsammeln der Oliven dann nicht mehr ganz so anstrengend.
To be continued…
Schöner Bericht von eurem Jahr! Vielen Dank!!